Wer schon einmal versucht hat, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Vitamine, Spurenelemente und sonstige Nährstoffe in welchen Mengen und in welcher Form eingenommen werden müssen, um eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu gewährleisten, hat wahrscheinlich früher oder später aus Frustration aufgegeben. Zum einen wird es dem medizinisch interessierten Laien nicht immer leicht gemacht, an verständliches, wissenschaftlich fundiertes Wissen heranzukommen, zum anderen sind die Quellen häufig unzuverlässig, da diese Thematik letzten Endes das Ziel verfolgt, ein Produkt zu verkaufen. Zudem werden ständig widersprüchliche Informationen zu Nutzen und Risiken gewisser Ernährungsformen publiziert. Vielleicht ist der Anspruch, einen Rundumüberblick über „gesunde Ernährung“ in einem einzigen Artikel zu erhalten, zu hoch. Deshalb möchten wir uns hier auf einen kleinen Baustein konzentrieren, der nur in Kombination mit vielen anderen Aspekten Teil einer ausgewogenen Ernährung sein kann. Dieser Baustein ist das Vitamin D.
Vitamin D ist kein Vitamin
Um es gleich vorwegzunehmen: Bei Vitamin D handelt es sich nicht um ein Vitamin, sondern ein Hormon, dessen Namensgebung und Definition zu Verwirrung führen. Natürlich kann man sich die Frage stellen, ob nun die Bezeichnung Vitamin oder Hormon wirklich so eine große Rolle spielt. Ein Vitamin wird definiert als ein organischer Stoff, der lebensnotwendig ist, den der Körper aber nicht (in ausreichender Menge) allein herstellen kann. Er muss deshalb von außen, beispielsweise über die Nahrung, als Vorstufe zugeführt werden, damit ihn der Körper zu einem aktiven Stoff umwandeln kann. Hormone hingegen sind Botenstoffe, die der Körper selbst produziert. Sie stoßen über die Bindung an ihren Rezeptor auf der Zielzelle Signalkaskaden an, welche wiederum verschiedene Prozesse in Gang setzen oder im Zellkern das Ablesen von spezifischen Genen induzieren.
Vitamin D wurde erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt – im Rahmen der Heilmittelforschung gegen Rachitis, eine Kindererkrankung der Knochen, die durch mangelnde Sonnenbestrahlung hervorgerufen wird. Da die Forscher seinerzeit nicht wussten, dass der Körper Vitamin D selbst produziert und seine Wirkung über einen Rezeptor entfaltet, wurde es als das vierte (deshalb der Buchstabe D) bekannte Vitamin eingestuft. Erst später fand man heraus, dass in Wirklichkeit eine Vorstufe des Vitamin D in der Haut gelagert ist und erst durch UV-B-Strahlung chemisch umgewandelt wird zu aktivem Vitamin D3. Wenn man von Vitamin D spricht, müsste man genauer von der Unterform D3 des Vitamins sprechen, welches international auch als Cholecalciferol, Calciferol oder Calciol bezeichnet wird.
Das Problem der UV-B-abhängigen Produktion von Vitamin D3 ist, dass je nach Breitengrad, Sonnenstand, Höhe über dem Meeresspiegel, Bewölkung, Smog und Ozonschicht die Haut nicht genug UV-B- Strahlen aus der Sonne bekommt, um ausreichend Vitamin D3 zu produzieren.
Aber wofür braucht der Körper Vitamin D3? Wie wirkt es und was passiert, wenn man einen Mangel oder einen Überschuss hat?
Vitamin D3 hat sich vor 450 Millionen Jahren durch Evolution gebildet und ist seitdem bestehen geblieben. Nicht nur der Mensch, sondern auch die meisten Säugetiere benötigen Vitamin D3 zum Überleben. Ein Stoff, der sich über einen so langen Zeitraum hinweg hält, scheint für das Überleben der Spezies essenziell zu sein. Tatsächlich hat man herausgefunden, dass allein Vitamin D3 über seinen Rezeptor 3 Prozent all unserer Gene reguliert, was einer enorm hohen Anzahl entspricht. Das Hormon, um es richtig zu nennen, dockt an seinen Rezeptor im Zellkern an und schaltet dort Gene an oder aus, um Funktionen im Immunsystem, für den Krebsschutz, die Testosteronproduktion, in Bezug auf die Insulinresistenz und den Calcium-Magnesium-Stoffwechsel zu regulieren. Somit kann man sagen, dass fast alle großen wesentlichen Systeme des Körpers durch Vitamin D3 zumindest mitbestimmt werden.
Das mithilfe von UV-B in der Haut produzierte Vitamin D3, oder auch Calciferol, wird im Körper in zwei Schritten umgewandelt. Zuerst wird es in der Leber hydroxyliert zu Calcidiol. Calcidiol gelangt über die Blutbahn zur Niere, bekommt dort eine weitere Hydroxylgruppe und wird so zu Calcitriol. Sowohl Calcidiol als auch Calcitriol sind aktive Hormone, welche eng mit anderen Stoffen interagieren, insbesondere Calcium, Phosphat, Magnesium und Parathormon.
Vitamin D3 hat viele Funktionen, die ihren Anfang im Darm nehmen: Es beeinflusst das Darmmikrobiom, also die körpereigene Besiedelung mit Darmbakterien. Das Mikrobiom spielt eine essenzielle Rolle bei der Aufnahme von Vitaminen und Nährstoffen aus der Nahrung. Wenn das Mikrobiom durch einen Vitamin-D3-Mangel geschädigt wird, werden Stoffe wie Magnesium (dessen Aufnahme zu 50 Prozent Vitamin-D3-abhängig ist) und Calcium (zu 80 Prozent) schlechter aufgenommen. Diese beiden Stoffe spielen für den Knochenstoffwechsel eine wichtige Rolle: Calciumphosphat macht den Knochen stabil. Parathormon (PTH) bezeichnet einen Stoff aus der Nebenschilddrüse, der den Calcium-Magnesium Spiegel im Blut reguliert und konstant hält. Bei zu wenig Calcium im Blut wird vermehrt PTH ausgeschüttet. PTH ist für die Umwandlung von Calcidiol in Calcitriol zuständig. Calcitriol löst anschließend Calcium aus dem Knochen heraus, um den Calciumspiegel im Blut zu erhöhen. Kurzfristig gesehen, ist es für den Körper wichtiger, ein stabiles Verhältnis im Blutsystem zu bewahren, als die Stabilität des Knochens beizubehalten.
Das Verhältnis von Calcidiol und Calcitriol besitzt demnach eine maßgebliche Bedeutung, da ein Überschuss von Calcitriol zur Schwächung des Knochens führt und somit eine Osteoporose begünstigen kann. Calcidiol ist, wie bereits erwähnt, ebenfalls ein aktiver Stoff, der für die Regulation von Calcitriol eine wichtige Rolle spielt und auch antientzündliche Wirkungen hat. Um das Verhältnis zwischen Calcitriol und Calcidiol in Richtung Calcidiol zu verschieben, benötigt der Körper ein Spurenelement: Bor. Bei Bormangel wird der Knochen spröde und neigt zu Brüchen. Außerdem trägt Bor zur Verringerung von Entzündungsreaktionen im Körper bei.
Vitamin D Mangel
Der Mangel an Vitamin D3 kann demnach viele verschiedene Systeme im Körper betreffen. Im Alter nimmt die Synthesefähigkeit der Haut ab, weshalb Menschen über 65 eine Risikogruppe für einen leichten Vitamin-D3-Mangel darstellen. Zu den Symptomen gehören Müdigkeit, verlangsamtes Denken, Depression, Muskelschwäche und -krämpfe, Schmerzen in den Knien und im Rücken, Schlafstörungen, Hautprobleme, erhöhte Anfälligkeit für Infekte und bakterielle Infektionen. Beim Erwachsenen kann eine schmerzhaften Knochenerweichung, der Osteomalazie, auftreten, während ein Mangel beim Kind in Kombination mit einem Calciummangel zu Rachitis führt.
Wird ein Mangel festgestellt, kann man Vitamin D3 mit Tabletten substituieren. Allerdings ist hier, wie überall, auf die Vermeidung einer Überdosierung zu achten, denn auch diese kann schädlich sein. Im Tierexperiment konnte gezeigt werden, dass ein chronischer Vitamin-D3-Überschuss zur vorzeitigen Alterung führt. Weitere mögliche Folgen sind Krebserkrankungen, Wirbelsäulenverkrümmung, Hautalterung, Dünndarmschädigung, Testosteronmangel und Impotenz.
Da Vitamin D3 Teil eines Systems ist, müssen immer aller Mitspieler gemeinsam betrachtet werden. Vitamin D3, Calcidiol, Calcitriol, Parathormon, Calcium, Magnesium und Bor sind alle Puzzleteile, die vereint werden müssen. Bei einem Vitamin-D3-Mangel sind diese Parameter, soweit in der Praxis möglich, zu bestimmen. Zusätzlich gilt es auch die entzündungshemmende Wirkung zu betrachten. Hierfür können gewisse Parameter im Blut (Interleukine und C-reaktives Protein) bestimmt werden. Neben einer ausreichenden Sonnenexposition ist auch der Verzehr von ballaststoffreichen Nahrungsmitteln und grünem Gemüse wichtig, um das Mikrobiom zu pflegen und den Körper ausreichend mit Bor und Calcium zu versorgen.
Zoe Grundies und Dr. med. Bernd-Michael Löffler, Berlin